9/18/2008

Debunking la Francophonie: a Small Minority of West Africans Speak French

Hans-Jürgen Lüsebrink*

Koloniales Erbe und postkoloniale Distanznahmen: 



 In keinem ‘frankophonen’ Land südlich der Sahara – mit Ausnahme des bevölkerungsarmen und zudem wegen seines Ölreichtums verhältnismäßig wohlhabenden Gabun – wird das Französische von mehr als einem Drittel der Bevölkerung gesprochen. Als tägliche Kommunikationssprache im gesellschaftlichen und familiären Bereich wird es Schätzungen nach von circa 1–3 Prozent der afrikanischen Bevölkerung regelmäßig verwendet. Der Anteil der frankophonen Sprecher liegt paradoxerweise in Algerien, wo das Französische im Laufe einer forcierten Arabisierungspolitik der Regierung seit den 1990er Jahren seinen Status als offizielle Amts- und Unterrichtssprache verloren hat, mit circa 30 Prozent deutlich über dem entsprechenden Anteil in nahezu allen subsaharischen Ländern.2 Selbst im Senegal und in Benin, zwei Ländern, die bereits in den 1930er Jahren als ‘Quartiers Latins’ Afrikas galten und international renommierte Schriftsteller und Intellektuelle wie die Dichter Léopold Sédar Senghor und Paul Hazoumé hervorgebracht haben, liegt der Anteil der frankophonen Sprecher und Leser lediglich bei 10 Prozent beziehungsweise 12 Prozent. Auch wenn in neueren Untersuchungen zwischen ‘Francophonen’ (die imstande sind, sich des Fran- zösischen in verschiedensten Situationen schriftlich und mündlich zu bedienen) und ‘partiell Frankophonen’, die lediglich eine Teilkompetenz mitbingen, unterschieden wird, so ist die in den Statistiken erkennbare Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit der subsaharischen Frankophonie unverkennbar und frappierend. Selbst in Län- dern wie Kamerun (18 Prozent Frankophone, 26,8 Prozent partiell Frankophone) und Elfenbeinküste (23,09 Prozent und 40 Prozent), die häufig – neben dem Ausnahmefall Gabun – als Paradebeispiele für die soziale Verankerung der französischen Sprache und Kultur auch im subsaharischen Afrika genannt werden, sind immer noch ein Drittel beziehungsweise die Hälfte der Bevölkerung über sechs Jahren nicht fähig, sich in Wort und Schrift auf Französisch zu verständigen.3 Im Senegal liegt der Gesamtanteil der ganz oder partiell Frankophonen lediglich bei 24,1 Prozent. Diese Situation steht in eklatantem Widerspruch zum Selbstverständnis und zur Wahrnehmung des Landes, das 1989 den dritten Frankophoniegipfel in Dakar organisierte und in den Frankophonieinstitutionen, auch bedingt durch das große internationale Ansehen der Staatspräsidenten L.S. Senghor (1960–81) und Abdou Diouf (1981–2000), eine wichtige Rolle spielt und gespielt hat. 
Kenntnis und Verbreitung des Französischen in den ‘frankophonen’ Ländern des subsaharischen Afrika sind somit, bis auf drei Ausnahmen (Gabun, Volksrepublik Kongo und Elfenbeinküste), auf eine begrenzte soziale Minderheit beschränkt. Die französischsprachigen kulturellen Medien – von der Presse über die audiovisuellen Medien bis zur französischsprachigen Literatur – vermögen in fast allen afrikanischen Ländern, die der Frankophonie zuzurechnen sind, weniger als ein Drittel der Bevölkerung unmittelbar zu erreichen. Aufgrund der demographischen Entwicklung – der Bevölkerungszuwachs der Gesellschaften des subsaharischen Afrika liegt im Durchschnitt bei circa 3,7 Prozent – und der seit den 1990er Jahren zurückgehenden französischen Unterstützung für den Kultur- und Bildungsbereich hat sich diese Situation in nahezu allen frankophonen afrikanischen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten verschlechtert, in besonders einschneidender Weise in der Demokratischen Republik Kongo. Die Volksrepublik Kongo mit der Hauptstadt Brazzaville, der ehemaligen Metropole Französisch- Zentralafrikas, stellte bis zu den bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Jahre 1997, in dessen Folge ein Großteil der ansässigen Franzosen evakuiert wurde, einer der „Juwelen des französischen Machteinflusses in Afrika“ („fleurons du pré-carré français en Afrique“4) dar. Ein Drittel der knapp 3 Millionen Einwohner lassen sich als „Francophones“ bezeichnen, ein weiteres Drittel als ‘partiell Frankophone’. Dies stellt eine in der afrikanischen Frankophonie herausragende Stellung dar, die jedoch durch die politische Entwicklung der letzten Jahre nachhaltig in Frage gestellt wurde.
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Insbesondere in Ländern wie dem Senegal, Benin und der Côte d’Ivoire, in denen Frankreich bereits relativ früh, seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, höhere Bildungsinstitutionen (wie die Lehrerbildungshochschule École William-Ponty in der Nähe von Dakar) schuf sowie Medien und Diskussionsforen der intellektuellen Öffentlichkeit förderte11, ist eine zum Teil virulente Distanznahme zur französischen Afrikapolitik, aber auch zur französischen Sprache und Kultur zu beobachten, wie zuletzt 2002/2003 die gewalttätig anti-französischen Kundgebungen in der ivorischen Hauptstadt Abidjan zeigten. 


Die Kluft zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Die Kluft zwischen einer relativ schmalen sozialen Minderheit, die des Französischen in Wort und Schrift mächtig ist, und einer Bevölkerungsmehrheit, die keine oder nur sehr partielle Französischkenntnisse aufweist und sich fast ausschließlich afrikanischer Sprachen als Kommunikationssprachen bedient, ist grundlegend für den Stellenwert der kulturellen Medien in den frankophonen Ländern des subsaharischen Afrika. Das Französische dominiert weiterhin im administrativen, politischen und im Bildungsbereich als Kommunikationssprache sowie in schriftbasierten kulturellen Medien – in der Presse, der Literatur und in Schulbüchern. Von Randbereichen abgesehen – vor allem in Mali und im Senegal existieren auch Schulbücher für den Primarschulbereich in afrikanischen Sprachen – wird der Verlagssektor von großen französischen Verlagen wie Hachette, Larousse und Hatier beherrscht, die auch Filialen im Senegal und an der Elfenbein- küste etabliert haben. Begünstigt durch die sprunghafte Entwicklung des Desktop-Pub-lishing in den 1990er Jahren haben sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten eine ganze Reihe neuer, kleinerer Verlage in allen subsaharischen afrikanischen Ländern etabliert. Auf der Internationalen Buchmesse in der senegalesischen Hauptstadt Dakar waren im Mai 2002 30 afrikanische Verleger aus sieben Ländern des frankophonen subsaharischen Afrika (Burkina Faso, Benin, Togo, Mali, Côte d’Ivoire, Guinea, Senegal) präsent. Die Gesamtzahl der Verleger im frankophonen Afrika südlich der Sahara wird auf etwa 100 geschätzt, die Zahl der verlegten Titel auf circa 1 500.12 Neben den Schulbüchern werden jedoch vor allem die Werke der international renommierten frranzösischsprachigen Autoren Afrikas weiterhin im Wesentlichen von Pariser Verlagen ediert und ihre Bücher zu Preisen auf dem afrikanischen Kontinent verkauft, die dem Wochenlohn eines Arbeiters oder einfachen Angestellten entsprechen und sie somit nur für eine sehr schmale soziale Elite zugänglich machen. 
Dies impliziert jedoch keinesfalls, dass französischsprachige afrikanische Literatur in Afrika selbst nicht auch von einem breiteren Publikum rezipiert wird: So finden sich seit dem Beginn der 1970er Jahre Auszüge aus wichtigen Werken der afrikanischen Literatur in allen afrikanischen Schullesebüchern für den Französischunterricht, wie beispielsweise in der von dem ivorischen Schriftsteller Amadou Koné mitherausgegebenen „Anthologie de la Littérature ivoirienne“ (1983)13; moderne Klassiker der frankophonen afrikanischen Literatur wie die Romane „Les Frasques d’Ebinto“ (1975) von Amadou Koné, „La Grève des Battù ou les déchets humains“ (1979) von Aminata Sow Fall und „Une si longue lettre“ (1979) von Mariama Bâ werden von afrikanischen Verlagshäusern in Dakar, Lomé und Abidjan zu verhältnismäßig moderaten Preisen verkauft und erzielten durch ihre Verwendung als Schullektüren im Französischunterricht afrikanischer Gymnasien Auflagenhöhen, die von mehreren zehntausend bis über 50 000 Exemplare reichen . Auch die afrikanische Presse bildet – wie bereits in der Kolonialzeit – ein wichtiges und durchaus massenwirksames Verbreitungsmedium der französischsprachigen afrika-nischen Schriftliteratur: Zeitungen wie die Dakarer Tageszeitung „Le Soleil“, die Tageszeitung „Fraternité-Matin“ in Abidjan – in den 1970er Jahren aufgrund ihrer Monopolstellung mit 75 000 Exemplaren die mit Abstand auflagenstärkste Zeitung im frankophonen Afrika14 – oder die in Paris ge- druckte, aber fast ausschließlich in den frankophonen Ländern Afrikas vertriebene Frauenzeitschrift „Amina“ drucken regelmäßig Gedichte, Novellen sowie Auszüge aus Romanen afrikanischer Schriftsteller ab. 
Die französischsprachige Presse des subsaharischen Afrika, deren Ursprünge in der Kolonialzeit liegen, durchlief vor allem seit dem Beginn der 1990er Jahre einen einschneidenden Wandlungsprozess. Dieser be- traf weniger die Sprachverwendung – das Französische ist weiterhin die Sprache aller auflagenstärkeren Periodika – als einen zunehmenden Demokratisierungsprozess der öffentlichen Meinung. In Ländern wie Kamerun, Benin, Burkina Faso und Côte d’Ivoire, in denen seit dem Beginn der Unabhängigkeit im Jahre 1960 ein von der Regierung kontrolliertes Periodikum (wie „Fraternité-Matin“) häufig die Presselandschaft beherrsch- te, lässt sich seitdem eine fortschreitende Liberalisierung und Pluralisierung beobachten. In Kamerun führte dies zur geradezu explosionsartigen Gründung von über 1 300 verschiedenen, meist recht kurzlebigen Zeitungstiteln in den 1990er Jahren.15 In Burkina Faso hatte das Gesetz zur Liberalisierung der Presse vom 30. Dezember 1993 die Gründung von sechs privaten Zeitungen zur Folge, deren zunehmend regierungs- und sozialkritische Haltung sich in den virulenten Auseinandersetzungen um die Ermordung des Journalisten Norbert Zongo im Jahre 1998 zeigte. An der Côte d’Ivoire ist das Quasi-Monopol der regierungsnahen Tageszeitung „Fraternité-Matin“ einer pluralistischen Pres- selandschaft gewichen, in der unter anderem linksliberale Organe wie „Notre Temps“ die Positionen der Opposition verkörpern. 
Anders als der Bereich der schriftbasierten kulturellen Medien sind Radio, Film, Fernsehen, Chanson und Theater seit den 1970er Jahren in zunehmendem Maße von Vielsprachigkeit, das heißt der Verwendung afrikanischer Sprachen neben dem Französischen, geprägt. Dies gilt in besonderem Maße für die afrikanische Musikszene, deren Texte fast ausschließlich in afrikanischen Sprachen – zum Teil durchsetzt mit französischen Wörtern und Satzelementen – abgefasst sind
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So ist in den frankophonen afrikanischen Literaturen seit den ausgehenden 1960er Jahren eine wachsende Tendenz zur ‘Kreolisierung’ beziehungsweise Afrikanisierung des Schriftfranzösischen zu beobachten. Schriftsteller wie Ahmadou Kourouma („Les Soleils des Indépendances“, 1968; „Monnè, outrages et défis“, 1990) von der Côte d’Ivoire oder Yambo Ouologuem („Le devoir de violence“, 1968) aus Mali haben die Lexik und Semantik, aber auch die Syntax und die grammatischen Strukturen ihrer Romane bewusst afrikanisiert und sind hierbei gezielt von der Sprachnorm abgewichen, um die differente Verwendung des Französischen im afrikanischen Kontext und ihre eigene bilinguale Sprachkompetenz zu verdeutlichen. „Ich versuche auf Französisch zu schreiben und gleichzeitig in meiner Muttersprache, dem Malinké, zu denken“, schreibt etwa Ahmadou Kourouma hierzu. „Das ist eine Erfahrung, die für die afrikanischen Völker, deren Sprachen nicht verschriftlicht sind, ein Mittel der intellektuellen Befreiung darstellt.“20 Formen interkultureller Sprachmischung und ‘Kreolisierung’ sind auch in wachsendem Maße in den audiovisuellen Medien zu beobachten: so etwa im Phänomen des Fernsehtheaters an der Côte d’Ivoire, das mit satirischen und sozialkritischen Sendungen wie „Comment ça va?“ von Akissi Delta und „Allocodrome“ von Dolo Adama sowie Truppen wie den „Guignols d’Abidjan“ und dem Ensemble „Kotéba“ unter Leitung von Souleymane Koly – ursprünglich eine Volkstheatertruppe – einen regelrechten Boom erlebte und die aus franzö- sischen und afrikanischen Elementen bestehende Umgangssprache der Metropole Abidjan – ein „Français défrancisée“21 – auf die Bühne und ins Fernsehen brachte.

Die Ausbreitung des Satellitenfernsehens und des Internet schließlich betreffen Entwicklungen, die die kulturellen Medien des subsaharischen Afrika zumindest in Ansätzen bereits entscheidend verändert haben. Die Einrichtung regionaler Netze des weltweit in über 165 Ländern ausgestrahlten und von 140 Millionen Haushalten regelmäßig empfangenen frankophonen Satellitenfernsehens TV5, die 1999 zur Gründung von TV5 Afrique führte, hat die Präsenz des frankophonen Fernsehens im subsaharischen Afrika deutlich verbessert und den vor allem im audiovisuellen Sektor in den letzten Jahrzehnten zu beobachtenden Rückgang des Französischen tendenziell aufgehalten

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